Meldungen aus dem Bezirksverband Braunschweig
Meldungen aus dem Bezirksverband Braunschweig

Erinnerung an Kindergräber in Watenstedt (Landkreis Helmstedt)

Außergewöhnliche Geschichte und Einweihung einer Geschichts- und Erinnerungstafel

Eine Gruppe von fünf Männern und einer Frau, die Pfarrerin , stehen links und rechts der Tafel. Sie lächeln in die Kamera.

Die Geschichts- und Erinnerungstafel auf dem Friedhof in Watenstedt. Von links nach rechts: Landesvorsitzender Grant Henrik Tonne, Bürgermeister Daniel Markwort, Bildungsreferent Dr. Rainer Bendick, Dr. Christian Ahl, Ortsvorsteher Carsten Lüer, Pfarrerin Madleen Pätow.

Die Gräber der Kinder von Zwangsarbeiterinnen wurden erst durch einen Erlass des Bundesinnenministeriums im Januar 1966 den Kriegsgräbern gleichgestellt, das heißt sie genießen ewiges Ruherecht. In vielen Gemeinden waren die Kindergräber bis dahin aber schon eingeebnet – so auch in Watenstedt im Landkreis Helmstedt.

Aber hier kommt die Bildungsarbeit des Volksbunds ins Spiel. Dr. Christian Ahl, in Watenstedt geboren und aufgewachsen, entdeckte in Bad Gandersheim die Geschichts- und Erinnerungstafel, die Schülerinnen und Schüler der dortigen Oberschule zu Kindergräbern erarbeitet hatten. Und er erinnerte sich, dass es auf dem Friedhof in Watenstedt einst auch Kindergräber gegeben hatte. So kam der Kontakt zum Bezirksverband Braunschwieg zu Stande.

Nach einem Besuch des Friedhofs in Watenstedt und einem Gespräch mit Pfarrerin Madleen Pätow war schnell klar, dass zusammen mit der Kirchengemeinde eine Geschichts- und Erinnerungstafel für die verschwundenen Kindergräber in Watenstedt erarbeitet wird. Anhand von Standesamtsunterlagen lassen sich fünf Sterbefälle von Kindern von Zwangsarbeiterinnen in Watenstedt nachweisen. Ein alter Friedhofsplan verzeichnet auch deren Lage auf dem Friedhof. An genau dieser Stelle wurde die Geschichts- und Erinnerungstafel aufgestellt.

Bewusst am 1. September, dem Antikriegstag, fand die Einweihung der Tafel statt, und zwar im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes.

Pfarrerin Madleen Pätow erinnerte in ihrer Predigt an die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern. Ausgehend vom Markusevangelium (Mk 10,14) legte sie das Wort Jesu aus: „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.“ Sie betonte dabei, wie wichtig es ist, gerade über schmerzhafte, unliebsame Ereignisse der Vergangenheit zu reden:

„Ach – würden wir es doch nur alle wie Jesus machen. Es hätte den Kindern, um die es heute geht, die wir heute hier in den Fokus nehmen, vielleicht das Leben gerettet. Denn ihnen wurde gewehrt, noch ehe sie sich selbst zur Wehr setzen konnten. Ihre Mütter, in unserem Fall polnische Zwangsarbeiterinnen, wurden kurz nach der Entbindung direkt wieder zur Arbeit getrieben, denn ihre Arbeitskraft war dem NS-Regime wichtiger als ihre Gesundheit. […] Keines der Kinder, die damals (in den 1940ern) hier auf dem Watenstedter Friedhof beigesetzt wurden, ist wirklich alt geworden. Das älteste wurde knapp ein Jahr alt, und das jüngste gerade mal zwei Tage.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Es geht hier nicht darum, alte Watenstedter zu verunglimpfen. Die Kinderkriegsgräber, derer wir heute mit unserer Tafel gedenken, sind kein typisch Watenstedter Phänomen. Oh nein! Es ist ein Phänomen, oder eher ein Skandal der damaligen Zeit. Neugeborene von Zwangsarbeitern ihren Eltern zu entreißen, die Mütter geschwächt zur Arbeit zu treiben und die Kinder irgendwo fernab der deutschen Kinder zu verwahren, ist damals öfter vorgekommen.

Doch nicht darüber zu reden, macht die Sache nicht ungeschehen. Wir sollten viel öfter gerade über die schmerzhaften und unliebsamen Ereignisse der Vergangenheit sprechen. Weil sie uns sensibilisieren und uns lehren können, es besser zu machen.“

Der Landesvorsitzende Grant Henrik Tonne hob in seinem Grußwort den menschenverachtenden Irrsinn des nationalsozialistischen Deutschlands hervor, der sich in der Trennung von Kindern nach vermeintlicher „Rasse“ zeigte: „Dieses System der Ausgrenzung und Diskriminierung war dem entgegengesetzt, was wir heute in unseren Einrichtungen der Kinderbetreuung- und -erziehung praktizieren. In der Behandlung der Kinder sowjetischer oder polnischer Herkunft findet sich kein vorurteilsfreies Miteinander, keine Toleranz oder auch christliche Nächstenliebe.“ Er danke den Initiatoren der Tafeln: „Sie sind dafür verantwortlich, dass wir 86 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, der unermessliches Leid verursachte, heute hier zusammengekommen sind. Dank Ihres Engagements haben wir die Möglichkeit, der Kinder sowie der Zwangsarbeiterin zu gedenken, die ursprünglich ebenfalls hier bestattet wurde.“

Nach dem Gottesdienst und den Grußworten wurde die Tafel enthüllt.

Nun erinnert eine Geschichts- und Erinnerungstafel an die Gräber der Kinder von Zwangsarbeiterinnen in Watenstedt.

Die Tafel wertet den Friedhof auf und setzt ein Zeichen für die lokale Erinnerungskultur. Das Zustandekommen des Projektes und die große Beteiligung der Gemeinde an der Einweihung zeigen eines sehr deutlich: Die Bildungsarbeit des Volksbunds beschränkt sich eben nicht nur auf die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern. Sie sorgt dafür, dass der Volksbund in der Fläche präsent ist. Sie stößt neue Projekte an und sie beeinflusst die lokale Erinnerungskultur weit über den schulischen Rahmen hinaus. Bildungsarbeit ist kein beliebiges Additum der Arbeit des Volksbunds, sondern das zentrale Element seiner Arbeit, weil sie – die Bildungsarbeit – dafür sorgt, dass die Beschäftigung mit Krieg und Gewaltherrschaft in der lokalen Gedenkkultur verankert wird.

Dr. Rainer Bendick Bildungsreferent

Bezirksverband Braunschweig